Fehlgeleitete Gefühle – wenn sich Angst wie Liebe anfühlt
Manch einer kennt es vielleicht, die aktuelle Partnerschaft erscheint als die intensivste, die je zuvor im Leben empfunden wurde. Die Hoffnung endlich die Seelenpartner*in gefunden zu haben, ist stark. Und umso ferner ihr euch seid, umso länger gemeinsam und getrennt, ob fern oder nah lebt, umso stärker fühlt sich eure Liebe an.
Sehnsuchtsgefühle oder in Wellen wiederkehrende starke Verliebtheitssymptome werden als intensives und bestätigendes Gefühl der Liebe beschrieben.
„Auch wenn es schmerzt, das gehört dann auch dazu….“
– Nein!
Wenn eine Beziehung dauerhaft schmerzt, ob vor Sehnsucht, vor Sorgen, vor intensiven Gefühlen – dann sind dies Alarmzeichen. Aber keine Bestätigung.
Dein Körper schreit Alarm, er fühlt intensiv, weil er vor allem Angst hat. Welche Angst das sein kann, das soll hier Thema werden. Wie du sie erkennen kannst, ebenso.
Typische Ängste in Beziehungen
Was ist deine persönliche Angst, wenn du an deine Beziehung denkst? Viele haben zuerst die Eifersucht im Fokus. Eifersucht entsteht oft aus der Verlustangst. Doch besonders intensiv Liebende denken eher an den Verlust selbst, als daran, dass der Seelenpartner*in sich Jemanden sucht.
Besonders in Fernbeziehungen wird das intensive Gefühl der Verlustangst mit Sehnsucht verwechselt. Doch was daraus zumeist entsteht ist eine Abhängigkeit.
Eine andere Angst ist die Bindungsangst – was irgendwie widersprüchlich erscheint, besonders in diesem Zusammenhang, da es sich hier ja um eine wahnsinnig intensive Verbindung handelt. Bei der Bindungsangst spielen Angst vor Enttäuschung, Schwäche, Kontrolle und Verlust wichtige Rollen, wodurch der passive Part immer wieder vor den Kopf gestoßen wird.
„Doch gemeinsam bekommen wir diese und alle anderen Probleme gelöst, weil es was Besonderes ist, was wir haben.“
– Vorsicht!
Menschen mit Bindungsängsten produzieren oft Beziehungen, in denen sich eine Partei in einer Abhängigkeit – Bittstellerposition begeben wird. Denn ein Teil dieser bindungsängstlichen Person genießt die Nähe, braucht sie irgendwie auch, kann es aber nicht definieren und sucht somit auch die Ferne.
Ein Verhalten, welches für den anderen passiven Part eine gewisse Sehnsucht und ggf. auch Hoffnung schürt. Dies führt dazu, dass dieser nun in der wartenden geduldigen Situation verharrt, immer mit der Hoffnung, irgendwann wird alles leichter, weil sich ja alles so intensiv anfühlt.
Schlussendlich, ob man Angst vor den Betrogen werden, dem Nicht-gut-genug-zu-sein, vor dem Verlassenwerden oder Ähnlichen hat – dahinter steckt immer wieder die Verlustangst.
Die Verlustangst ist eine unserer Urängste. Dies kommt aus unseren frühesten Tagen, als wir besonders auf Fürsorge angewiesen waren. Auf uns allein gestellt, isoliert und einsam hätten wir nicht überleben können.
So denken tatsächlich viele von ihrem aktuellen Leben noch, und dies spiegelt sich auch in Beziehungen wider – erkennbar an Sätzen: „ohne meinem Herzensmensch kann ich nicht mehr leben“.
Solche Aussagen sollten immer Alarmzeichen sein. Denn hier entwickelt sich eine Abhängigkeit, sein eigenes Leben wird nach dem/der Anderen ausgerichtet und fokussiert.
Ängste und Intuitionen
Doch woher sollten wir das wissen – sagt unser Bauch uns nicht eindeutig, was wir fühlen?
Unsere sogenannte Intuition, auf diese wir mehr vertrauen sollten, kann uns hier in Teufels Küche bringen.
Wissenschaftlich wurde belegt, dass die sogenannte Intuition auf Gefühlen und Erfahrungen beruhen, welche auch aus unseren ersten 2 Lebensjahren stammen. Diese Erfahrungen gehen uns nicht verloren, wie weithin geglaubt wurde. Und da wir diese nie verbalisieren konnten, sicher auch nicht immer verstehen, rückten sie in unser Unterbewusstsein.
In jener Zeit lernen wir, wie wichtig unsere Verbindung zu einem Erziehungsberechtigten ist, aber auch wie wichtig es wird, selbstständig zu werden. Wird in den ersten Lebensjahren ein Mensch geprägt (zum Beispiel durch Abwesenheit der Erziehungsberechtigten, emotionale Stimmungsschwankungen oder zuviel Nähe), so beeinflusst das. Gespeichert wird alles nun in unserem Unterbewusstsein und kommt in Form der Intuition (zum Beispiel) wieder hervor.
Das Problem in diesem Zusammenhang ist also, fühlen wir die „Stimme der Intuition“, sind wir oft besonders achtsam. Dies kann in Vertrauensthemen tricky sein, denn die innere Stimme wird subjektiv gelenkt. Was wollen wir, was erwarten wir und wenn sich alles so intensiv anfühlt, dann hat es doch einen guten Grund. Eine Warnung wird hier trotz dem Ruf der inneren Stimme nicht vernommen.
Woran also sollen wir erkennen, ob es Liebe oder Angst ist?
Wie differenzieren wir Angst und Liebe
1. Das Erkennen
Hast du das Gefühl, ohne deinen anderen Part nicht mehr leben zu können? Bist du gern informiert was er tut, macht und suchst immer wieder seine Aufmerksamkeit und Zuneigung?
Dies sind Anzeichen für eine Abhängigkeit. Besonders erkennbar wird es, wenn dir der Fokus auf deine Hobbies, deine Freunde verloren geht. Was tust du noch für dich und in welcher Intensität?
Stellst du fest, dass dies tatsächlich stark zurückgegangen ist, dann schau, wie es jetzt wäre, dies wieder für dich anzupassen.
„Aber ich vermisse xy sooo sehr, es lähmt mich und ohne diese Person macht alles auch keinen Spaß..“ – Jetzt erst recht. Handy weg und lege den Fokus mal nur auf dich. Gelingt dir das partout nicht, suche dir Hilfe. Denn dieser Schritt, das Erkennen, ein Realitätsabgleich, den kann man manchmal nicht allein schaffen.
2. Focusing
Hast du deine Angst erkannt, gilt es nun dich wieder auf dein Selbst zu fokussieren. Deine Intuition hat dich vielleicht in die Irre geleitet, diese will wieder in richtigen Bahnen gelenkt werden. Die Technik, die hierbei helfen kann, nennt man focussing. Hier geht es darum, wieder den realen Zugang zu seinen Gefühlen zu gewinnen. Die Gefühle selbst werden externalisiert und personalisiert. Das heißt, du gehst mit deinen Gefühlen ins Gespräch.
Das klingt komplizierter, als es ist: „Wo fühlst du etwas?“ „Wie fühlt sich etwas an?“, wären einfache Fragen für den Anfang. Kleine Empfindungen wie ein Magenkribbeln, Druck in der Brust ect. werden genauer betrachtet und vor allem erst einmal benannt.
Am Besten eignet sich diese Technik in Kombination mit einer Meditation, in der Geschehnisse, Situationen eurer Beziehung herangeholt werden können, um die Gefühle, die sie bewirken, zu betrachten. Wo tauchen die Gefühle auf? Und hast du diese vielleicht schon einmal irgendwo gespürt? Benennst du dieses Gefühl vielleicht als ein Kribbeln, kann du auch fragen, was die Situation denn so besonders kribbelig macht?.
Wichtig ist, schau was es braucht, um das du dich gut fühlst. Auch dies kannst du deinem „Kribbeln fragen.
3. Der Angst Verständnis zeigen
Niemand sollte sich oder sein inneres Kind verurteilen, wenn es Angst verspürt. Angst ist eine warnende Emotion, welche aber auch „Verständnis“ braucht. Es ist ok, dass du Angst hast – dies darfst du dir ruhig sagen.
Doch im Gegensatz zu deinem inneren Kind, welches besonders darauf reagiert, bist du jetzt Erwachsen. Und als Erwachsener kannst du sagen: „Es gibt immer einen Weg!“.
Wichtig ist natürlich auch, der Angst zuzuhören. Dieses Gefühl hat einen Grund. Hinterfrage sie und schau ob du so eine Lösung für dich findest. Muss diese Angst so tief sein, oder kannst du für dich auch sagen: „Es ist ok, ich habe deine Sorgen verstanden. Doch am Ende komme ich auch mit den potentiellen Befürchtungen klar“.
4. Das Loslassen
Mit diesem eben genannten Schritt fängt man also an loszulassen. Beim Thema Verlustangst, könnte ein Dialog beispielsweise so aussehen:
Ich: „Hallo Angst, was möchtest du mir sagen?“
Angst: „ Was ist, wenn ich am Ende wieder ohne Partner bin?“
Ich: „Ja was ist denn da?“
Angst: „Dann bin ich wieder allein und traurig.“
Ich: „Das verstehe ich, dass dich der Gedanke allein schon traurig macht. Doch was genau ist so schlimm, allein zu sein?“
Angst: „Dann fühle ich mich einsam.“
Ich: „Immer?“
Angst: „Nein nicht immer.. aber zum Schlafengehen ist es besonders schlimm.“
Ich: „Was ist denn besonders schlimm?“
Angst: „Es ist ruhig und kalt.“
Ich: „Und wie ist es jetzt, wenn dein Partner nachts nicht da ist?“
Angst: „Dann hole ich mir eine Wärmeflasche und ein Hörbuch…“
Und schon scheint für eine Befürchtung eine Lösung in Sicht. Und ich möchte eine abgeschlossene Beziehung niemals bagatellisieren. Doch vieles lässt sich über eben jene Gedankenspiele leichter betrachten. Das Umdenken in diese Richtung ist dabei der erste Schritt loszulassen. Loslassen der dunklen Gedanken.
Das klingt jetzt so einfach, doch am Ende sind Emotionen immer stärker, als die Situation in der man lebt. Viel kommt auch auf die Einstellung an. Gehst du in den Dialog, werden mehrere solcher Themen auftauchen. Werden sie nach ähnlichen Schemen bearbeitet, lassen diese sich dann auch leichter zur Seite legen – vielleicht in eine imaginäre Truhe deiner Gedanken.
Und ganz am Ende muss man einen Verlust nie allein durchstehen. Psychologen sind darin ausgebildet, solche Themen aufzufangen.
Fazit ist
Finde deinen Weg zu dir selbst, liebe dich und tu Dinge für dich. Lege das Handy weg und freue dich auf eure gemeinsame Zeit wenn ihr zusammen seid und lass auch wieder los, wenn jeder seine Wege geht. Niemand rennt weg, wenn du ihn ziehen lässt. Doch wenn du Angst hast, dann ziehst du Angst auch an. Und dies ist ein stetiger Kreislauf.
Lass die Angst los, lass diese intensiven sich versinkenden Emotionen los, welche dich lähmen und werde aktiv für dich, deine Freunde, deine Seele.
Anbei meine Literaturempfehlungen
Die Wolfsfrau – Die Kraft der weiblichen Urinstinkte von Clarissa Pinkola Estés
Focusing – Selbsthilfe bei der Lösung persönlicher Probleme von Eugene T. Gendlin