Selbstbestätigt leben dank unseres inneren Kindes?
Selbstbestätigung… da taucht es nun immer wieder auf – dieses Wort, das so in dieser Form in unserem Wortschatz kaum eine Verwendung findet.
Wir reden oft vom Selbstbewusstsein, dem Selbstwert. Doch sich so richtig, also so wirklich damit auseinanderzusetzen, das vermag kaum einer.
Selbst Menschen, welche gänzlich in ihrer Mitte stehen, sich abzugrenzen wissen und Herr ihres Bewusstseinseins und vielleicht auch ihres Selbst sind, stoßen dabei auch an die eigenen Grenzen.
Es gibt Menschen, welche ein ausgeprägtes Ego haben, es leben und es ausstrahlen. Doch leben diese bewusst selbstbestätigt? Und welche Bedeutung hat unser inneres Kind für ein selbstbestätigtes Leben?
Das möchte ich in diesem Artikel genauer unter die Lupe nehmen, dank C. G. Jung, welcher mich hierzu inspirierte. Ursprünglich befasste ich mich mit den verschiedenen Ansichten zur Arbeit mit dem inneren Kind, wobei ich auf die Theorie von Jungs Kindarchetypus gestoßen bin. Warum er mich genau inspirierte, dazu komme ich später.
Was ist denn eigentlich dieses Selbst?
Bin ich das Selbst?
In der Psychologie lässt sich dies aus verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. Bekanntestes Beispiel ist ja sicher Freuds Darstellung mit dem ES, Ich und Über-Ich. Doch das Selbst grenzt sich hier noch einmal ab. Während das Es die Lust, das Über-Ich die Normen und gesellschaftlichen Konventionen impliziert, ist das Ich der Schnittpunkt zur Außenwelt. Die Gewichtung kommt je nach Psyche, Erziehung und Charakter zum Vorschein.
Das Ich beschreibt der US-amerikanischen Psychologen William James mit dem „Kern-Selbst, des inneren Beobachters ist eng verknüpft mit dem Konzept des freien Willens, der uns eine gewisse Souveränität gegenüber den Anforderungen der äußeren Situation, unserer Konditionierungen und Trieben verleiht“. Stellen wir uns äußerem Druck oder den inneren Trieben entgegen, wird dies vom Ich[1] entschieden.
Das Selbst als eine weitere Instanz neben Freuds Triade
Eine Generation nach Freud entstand mit dem Psychologen Heinz Hartmann eine erste Definition, gar Unterscheidung des Begriffes Selbst als eine weitere Instanz neben Freuds Triade. Dadurch wurde es möglich, zwischen der Besetzung von Objekten der Außenwelt und der Besetzung der eigenen Person zu unterscheiden. Von dort an wurde differenziert zwischen dem Ich, als dem aktiven bewussten Part, und dem Selbst als der Empfänger, der eine unbewusstere Rolle spielte. Das Selbst wurde also mit der ganzen Person, dem Körper, bewusst und unbewusst und vorbewusst vorgeprägt, definiert. Laut C.G. Jung wird im Selbst das Bewusste wie auch das Unbewusste eingeschlossen. Das Unbewusste ist all das, das uns im Laufe unseres Lebens geprägt und unbewusst beeinflusst hat (stark vereinfacht gesagt). Das Ich differenziert sich aus dem Selbst erst heraus.
Das spätere Selbstgefühl wird erst durch das Wirken des Ichs ermittelt. Heißt, das Selbst wird durch das Ich beeinflusst, aber das Ich kann das Selbst nicht vollständig erfassen[2].
Nach Jung ist das Selbst Grund und Ursprung der individuellen Persönlichkeit und umfasst diese Persönlichkeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es umfasst was wir waren, sind und was wir werden können[3].
Die Selbstbestätigung nach C. G. Jung
Besteht die Selbstbestätigung laut dem Jungschen Gedanken darin, dass das Ich das Selbst bestätigt?
Das Ich hat Einfluss auf das Selbst. Das Ich ist das bewusste Wirken, laut psychologischen Erkenntnissen, abhängig von äußerlichen aber auch innerlichen Einflüssen (Trieben).
Stellen wir uns die Frage ‚Wer wir sind‘ und ‚wir sein wollen‘, so befasst sich das Ich bewusst mit der Frage zum Selbst. Es geht hierbei also neben der Wahrnehmung auch um das Sein. Wer sind wir? Dies lässt sich durch unsere Prägung (unbewusster Einfluss von außen) und durch unser Denken und Fühlen (teilweise unbewusster Einfluss von innen) definieren. Warum teilweise? Weil sich das Denken und das Fühlen auch beeinflussen lassen. Das Selbst beeinflusst also das Sein in welcher Form? Im bewussten Denken und Fühlen, aber auch in der Außendarstellung.
Das Wort Bestätigung steht für eine positive Bewertung eines Sachverhaltes.
Bestätigen wir etwas, heißt es, dass wir etwas bejahen. Bestätigt das Ich das Selbst bewusst, heißt es, dass wir uns als Person, so wie wir sind, bestätigen. Und genauso sollte es bei einer gesunden Psyche schlussendlich auch sein.
C. G. Jung deckt das innere Kind auf
Jung war einer der ersten Psychologen, welcher sich mit dem kindlichen Anteil eines jeden Selbst befasst hatte. Er beschreibt dies als den Kindarchetypus. Es ist sicher nicht ganz einheitlich mit dem heutigen Gedanken des inneren Kindes[4], doch geht es vom Ursprung einher.
Am besten lässt sich sein Gedankengang im Zusammenhang mit einer Therapie betrachten.
Er meint dazu, dass das unser inneres Kind oft unbewusst in uns schlummert. Gegebenenfalls wird es in einer Therapie ins Bewusste geholt, oft spontan durch Intervention oder eben Therapiemaßnahmen geweckt.
Dabei wird es depersonalisiert, also von dem eigenen Sein, dem Ich abgesondert, wo zuvor noch eine Identifikation des Patienten mit dem persönlichen Infantilismus stattfand. Dabei wird der kindliche Archetypus abgesondert und objektiviert.
Und hier, so erscheint die Krux, meint Jung, wird das Objekt mystifiziert und in eine Heldenrolle stilisiert, wo es zuvor noch in der Rolle des missverstandenen Kindes als ungerecht behandelt und verlassen angesehen wurde, mit anmaßenden Bedürfnissen, werden diese Bedürfnisse nun aus subjektiver Linse rechtfertigt. Heroisiert wird das Objekt dann aus 2 möglichen Gründen: a) wenn der Anspruch erfüllt wird, und es zum aus Größenwahn kommt oder dieser b) nicht erfüllt wird in die Rolle des Erdulders das Objekt zum Helden macht.
Geschieht dies, entwickelt sich ein bewusster Größenwahn mit einer unbewussten Kompensierung oder ein unbewusster Größenwahn mit einer bewussten Kompensierung.[5]
Das heißt, das dann unser inneres Kind zwar geweckt wird, beeinflusst aber das Selbst insofern noch nicht, soweit es nicht eine bestimmte Rolle einnimmt:
Und zwar, so meint Jung, kann das Selbst nur entwickelt werden, wenn das bewusste Geschehen vom Unbewussten getrennt wird. Nur so kann dann das unbewusste Geschehen objektiv betrachtet werden.
Dies funktioniert in dem die Heroisierung „umschifft“ wird. Mit der Auseinandersetzung des Unbewussten und die damit einhergehende Synthese der bewussten und unbewussten Elemente des Erkennens und Handelns entsteht eine Verschiebung der Persönlichkeitszentren aus dem Ich in das Selbst. Mit der Heroisierung gewinnt das Ich mit seinen vorgeprägten Denkmustern die Oberhand, und nutzt unser inneres Kind maximal zur Bestätigung seines Seins (Erfüllung der eigenen Prophezeiungen), doch nicht zur Bestätigung seines Selbst.
Welche Bedeutung hat das innere Kind auf unsere Selbstbestätigung
Das innere Kind in der modernen Psychologie wird als eine Zusammenfassung von der instinktiven Seite, der Ursprünglichkeit, der persönlichen Vergangenheit, der Lebendigkeit und der Kreativität beschrieben[6].
Das zuvor unbewusst geprägte und gelebte innere Kind kann erlebbar gemacht werden. Dabei wird es über Generationen von unserer Kultur geformt, und Glaubenssätze und Geschichte manifestieren sich unterbewusst. Natürliche Instinkte aber auch Triebe sind hierbei mit verbunden. Dies alles kann aber auch herauskehrt, getriggert werden und positive als auch negative Erfahrungen können spontane Reaktionen des inneren Kindes auslösen. Die kindliche Freude wenn der Schnee fällt, Lebendigkeit und Kreativität sind dabei einige schönere Beispiele.
Die Zielvorstellung der „inneren Kind Arbeit“
Negative Erfahrungen werden in der Tiefenpsychologie wieder zugänglich gemacht, um festgefahrene Verhaltensmuster, wiederkehrende Impulshandlungen oder Schmerzen aufzulösen. Auch Ängste werden bei der Betrachtung des inneren Kindes zum Thema, welche durch die Gefährdung frühkindlicher Grundbedürfnisse aktiviert worden sein könnten. Dabei können Eifersucht durch Verlustangst, Angst vor Zurückweisung und Ausschluss oder Sicherheitsverlust welche der natürlichen Themen sein.
In der heutigen Psychologie wird bei der „inneren Kind Arbeit“ davon ausgegangen, dass die Kindheit des Patienten durch negative Erfahrungen vor allem durch die Erziehung geprägt wurde.
Um für sich Selbstbestätigung erlebbar zu machen, hilft es eben jene negativen Erfahrungen des inneren Kindes zu verarbeiten. Hierbei geht es nicht darum, alles was schlecht ist zu heilen, oder sich ganz mit der Vergangenheit auszusöhnen. Es geht vorrangig um Akzeptanz, Aufmerksamkeit und vor allem darum, das Unbewusste bewusst zu machen.
Negative Erfahrungen müssen nicht nur durch ein negatives Elternhaus ins Unbewusste gelangt sein. Auch die Gesellschaft, der gemeinsame Umgang, die Geschichte der Familie und die jeweilige Kultur prägen das innere Kind. Es gilt vor allem eben jene negativ geprägten Bilder und Glaubensmuster aufzudecken, sie zu aktualisieren und zu lernen auf die eignen Bedürfnisse zu achten. Auch geht es um Abgrenzung, darum, zu erkennen, dass man sich nicht von seinem Unbewussten abhängig machen muss und sich nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich abgrenzen kann.
Fazit: „Um eine Grenze zu ziehen, muss ich meine Landkarte kennen.“
Wie schon erwähnt, macht die Arbeit mit dem inneren Kind vor allem dann Sinn, wenn sie nicht als Heilmittel gesehen wird, sondern als Weg, das Unbewusste bewusst zu machen und dadurch Orientierung zu erlangen. Das Zitat „Um eine Grenze zu ziehen, muss ich meine Landkarte kennen.[7]“ beschreibt dabei den Kern der Aussage. Sind die inneren Anteile, die Schwächen, Stärken, Bedürfnisse und Ängste bekannt, lässt es sich leichter abgrenzen, achtsamer mit sich selbst umgehen und es stärkt das selbstbestimmte Leben, als auch die Selbstbestätigung.
Gelebte Muster und Glaubenssätze, welche Wertvorstellungen formen, werden durch die Arbeit mit dem inneren Kind genauso in den Fokus genommen. Die Aktualisierung dieser bedeutet dann schlussendlich ihr Hinterfragen.
Ein Beispiel:
„Gilt es wirklich noch, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt und ich deswegen so sein, so leben, muss wie meine Eltern?“.
Solche Sätze prägen manchmal ein Leben lang. Sie zu hinterfragen, heißt auch, sie anzupassen. Nur weil Jemand das Kind seiner Eltern ist, also zum Beispiel viel mit ihnen gemeinsam hat, muss das noch lange nicht heißen, dass er das gleiche Leben leben muss. Oder: kommt Jemand aus armen Verhältnissen, muss das nicht heißen, dass die Armut das Leben dieses Menschen fortan bestimmt. Die Grenzen der persönlichen Möglichkeiten erscheinen dadurch vielleicht eingeschränkter, doch hilft es sehr, sich seiner Selbst, seiner Fähigkeiten und Stärken bewusst zu sein, um so eine realistische Einschätzung der eigenen Optionen treffen zu können. Der Prozess der Bewusstmachung mit Hilfe der Arbeit mit dem inneren Kind sorgt letztlich für eine Ganzheitlichkeit des eigenen Selbst und der Selbstbestätigung.
[1] James, W.: William James: The principles of psychology (2 Bd.). New York: Holt 1890.
[2] C. G. Jung: Gesammelte Werke. Band 6: § 814; Band 9/1: § 248, § 633; Band 12: § 309. C. G. Jung: Gesammelte Werke. Band 7: § 274; Band 11: § 396.
[3] Ebenda.
[4] Hierzu komme ich im folgenden Kapitel noch.
[5] C. G. Jung: Die Archetypen und das kollektive Unbewusste. Patmos Verlag; 2019. Seite 194.
[6] John Bradshaw (1994): Das Kind in uns. Wie finde ich zu mir selbst. Verlagsgruppe Droemer Knaur.
[7] Dieses Zitat stammt von Bernhard Kuenz und fasst sehr gut den Gedanken zusammen.